Einzigartige Unikate

Die Ausstellung ZOO MOCKBA präsentiert eine umfangreiche Kollektion historischer Spielzeugtiere aus Zelluloid, Plastik und Gummi. Die ältesten Objekte stammen aus den 1940er Jahren. Viele Sammlungsstücke dokumentieren gleichermaßen den hohen gestalterischen Anspruch, der dem Kinderspielzeug beigemessen wurde, wie auch die künstlerische Ausdruckskraft ihrer Schöpfer. Adolf Neystat arbeitete am staatlichen Institut für Spielzeuggestaltung in Moskau. Er schuf ca. 650 Modelle für Spielfiguren, die verschiedenen Firmen im gesamten Gebiet der Sowjetunion zur Verfügung gestellt wurden. In Kooperation mit Pädagogen und Therapeuten konzipierte das Institut auch therapeutisches Spielzeug. Neben vielen Tieren entwarf Adolf Neystat große Figuren zu bekannten Märchen (Pinocchio, Das bucklige Pferdchen, Die Schneekönigin, Der Hirsch mit dem goldenen Geweih, Dr. Aybolit), die vor allem für Kindergärten und Schulen bei integrativen Rollenspielen zum Einsatz kamen. Einhundert originale Entwurfsmodelle aus den 1970er und 1980er Jahren – aus Gips geformt und handbemalt – machte uns Adolf Neuystat zum Geschenk. Diese einzigartigen Unikate verleihen der Sammlung eine ganz besondere Bedeutung. Voll funktionsfähig in all ihren beweglichen Teilen, offenbaren sie die gestalterische und handwerkliche Meisterschaft des Künstlers.

Große Kunst für kleine Kinder

In Tomsk geboren, begann Boris Worobjew (1911 – 1990) seine Laufbahn auf verschlungenen Wegen. Er arbeitete als Maurer, Lehrer und Luftakrobat im Zirkus, bevor er 1932 mit einem Architekturstudium in Moskau begann. Schon während des Studiums konnte er mit seinen Werken bei verschiedenen Kunstausstellungen auf sich aufmerksam machen. Im Jahre 1936 wechselte er an die Hochschule in Leningrad, um fortan Bildhauerei zu studieren. Bereits während des Studiums arbeitete er für die Lomonosow Porzellanmanufaktur und machte sich mit seinen Tierplastiken einen Namen. Während der Blockade zählte er zu den Verteidigern Leningrads. Von Hunger und Krankheiten gezeichnet, setzte Boris Worobjew nach Ende des Krieges sein Studium fort. Mit seiner Skulptur »Die Wölfin in der Falle« brach er die Regel, dass Tierdarstellungen niemals als Diplomarbeiten eingereicht werden. Nach einer heftigen Debatte an der Hochschule schaffte es Worobjew, das Thema Tierplastik von diesem Makel zu befreien. Die Diplomarbeit des meinungsstarken Absolventen wurde umgehend von den Staatlichen Museen erworben. Ende der 1940er Jahre gestaltet er auch eine Reihe naturalistischer Zelluloid-Spielzeugtiere im Auftrag der Okhta Werke Leningrad (OHK). In großer Stückzahl produziert, fanden sie in vielen Kinderzimmern ein Zuhause, während seine Skulpturen auf internationalen Kunstausstellungen gefeiert wurden. Die Tierskulpturen Boris Worobjews stehen heute in der Eremitage, im Russischen Museum und in der Tretjakow Galerie. Seine Spielzeugtiere haben ihren Platz in unserer Ausstellung ZOO MOCKBA.

Ein Leben für die Tiere

Während der Blockade Leningrads besuchte Natalia Tyrkova (1928 – 2015) eine Berufsschule und arbeitete zugleich als Dreherin in einer Waffenschmiede, die Bauteile für den Raketenwerfer »Katjuscha« fertigte. Sie wurde mit der Medaille für die Verteidigung Leningrads geehrt. Ab 1945 studierte sie an der Kunsthochschule. Seit dieser Zeit war sie mit all den künftigen Spielzeuggestaltern der Leningrader Künstlerszene bestens bekannt. 1953 ging sie für ein Jahr an das Institut für Spielzeuggestaltung in Zagorsk. Im weiteren Verlauf ihres Berufslebens arbeitete sie für die Gummiwarenfabrik »Krasnyj Treugolnik«, aber auch für OHK Leningrad und andere Hersteller in der Sowjetunion. Natalia Tyrkovas Fähigkeit, Spielzeugtieren einen eigenen Ausdruck zu verleihen, zeugt von einem umfassenden Naturstudium und von einem tiefen Verständnis der Dinge. Blieben ihre frühen Entwürfe in den 1950er und 1960er Jahren noch nah am realistischen Vorbild, fand sie fortan mit gestalterischem Mut zu immer reduzierteren Formen. In ihren letzten Lebensjahren widmete sich Natalia Tyrkowa mit zahllosen Zeichnungen und Aquarellen ihrer großen Liebe, den Katzen. In ihrem Haus vor den Toren Leningrads fanden sich einige ihrer frühesten Tierzeichnungen, die sie während des Krieges ihrer Mutter aus dem Krankenhaus sendete.

Der Tradition verpflichtet

Birkenwälder, Holzhäuser, Wiesen am Fluss – wenn es eine typisch russische Landschaft gibt, dann findet sich diese in den Bildern des Malers Anatoli Borisov (1944 – 2015). Er wagte weder das Experiment, noch suchte er nach Extremen. Seine künstlerische Heimat fand er in der Einfachheit des ländlichen Lebens und im Traditionellen. Geboren wurde Borisov im Dorf Aleksandrovka im Bezirk Orjol. Von 1965 bis 1969 studierte er an der Fachschule für industrielle Spielzeuggestaltung in Zagorsk. Seit seinem Studium lebte er in Vologta, wo er bis 1980 als Gestalter bei der örtlichen Spielzeugfabrik arbeitete. Das stolze Pferd von Anatoli Borisov hat seinen Platz in unserer Ausstellung. Mit wilder Mähne und wehendem Schweif scheint das stolze Tier geradewegs einer von Borisovs Landschaften entsprungen. Tatsächlich aber zeigt es das bucklige Pferdchen aus dem russischen Märchen – endlich von seinem Fluch befreit.

Querverbindungen

Die »Akkordeon-Tiere« und auch die aufblasbaren Spielfiguren der tschechischen Gestalterin Libuše Niklová zählen heute längst zu den Ikonen des modernen Designs. Das MoMa in New York widmete ihr 2011 bereits eine eigene Ausstellung. 1934 in Zlín geboren, absolvierte sie dort von 1949 bis 1953 ein Studium der angewandten Kunst. Bis 1960 arbeitete sie für die Firma Gumotex in Breclav. Bis zu ihrem frühen Tod im Jahr 1981 war sie dann bei Fatra in Napajedla als Spielzeuggestalterin tätig. Offenbar gab es in den 1960er und 1970er Jahren Kooperationen mit sowjetischen Produktionsbetrieben, denn wir fanden ihre berühmte Katze, produziert bei Wiatka in Kirow, und ihren Löwen, produziert bei Plastpolymer in Leningrad. Dank dieser internationalen Querverbindungen haben auch die Tiere von Libuše Niklová ihren festen Platz in unserer Ausstellung.

Schöpfer der perfekten Form – Adolf Neystat

Nach dem Studium der Künste widmete Adolf Neystat Jahrzehnte seines Berufslebens der Formgestaltung für industrielles Kinderspielzeug. Didaktischen und pädagogischen Überlegungen folgend schuf er eigenwillige, charaktervolle Puppen und Tierfiguren. Zu allen Zeiten war er aber auch als freier Künstler tätig. 1995 schuf er in Moskau ein Denkmal für den 50. Jahrestag des Sieges über den Deutschen Faschismus. Bis heute folgt er seiner großen Leidenschaft, mit scheinbar spielerischer Leichtigkeit die perfekte Form zu finden und aus Holz, Metall und Stein sein Ideal der Frau zu erschaffen. Mehr Informationen: adonik.ru und artmjeur.com

Meister der Moderne

Lev Smorgon gilt heute als Nestor der St. Petersburger Künstlerszene. Mit seinen Bildern und Skulpturen ist er in Ausstellungen, Museen und Galerien präsent. Kenner schätzen zudem seine unverwechselbaren Spielfiguren, die er seit den 1950er bis in die 1970er Jahre entwarf. 1929 in Detskoye Selo geboren, studierte Smorgon an der Hochschule für angewandte Kunst in Leningrad. Nach seinem Diplom im Jahr 1952 arbeitete er für die Lomonosov Porzellanmanufaktur, bis ihn sein Freund Lev Razumovsky in die Entwurfsabteilung der Okthinsky Werke holte. Durch ihre oft erstaunliche Abstraktion und ihren markanten Gesichtsausdruck formte er seine Puppen und Tiere zu ganz eigenen individuellen Charakteren. (Fotos: Eugen von Arb, St. Petersburg)

 

 

Ein Künstlerleben

Lev Razumovsky (1926 – 2006) überstand die Blockade Leningrads, kam im Alter von 17 Jahren an die Front, wurde 1944 in Finnland verwundet und verlor seinen linken Arm. Ein Jahr später begann er dennoch an der Leningrader Hochschule für angewandte Kunst ein Studium der Bildhauerei. Die Schrecken des Krieges und der heldenhafte Kampf der Roten Armee wurden für ihn ein künstlerisches Grundthema seines Lebens. Darüber hinaus war er als Gestalter von Kinderspielzeug ein Wegbereiter der Moderne. Für Produktionsbetriebe in Leningrad und Moskau schuf er liebenswerte und funktional durchdachte Spielfiguren. Lev Razumovsky war es auch, der einige seiner Studienfreunde als Spielzeuggestalter um sich sammelte. Die Spielwarenindustrie bot den jungen Leuten ein verlässliches Einkommen und zudem gestalterische Freiräume, in welchen sie jenseits von lebensechten Lenin- und Stalinbüsten eine eigene, zeitgemäße Formsprache entwickeln konnten.

Malvinas braver Hund

Adolf Neystat, Jahrgang 1935, studierte an der Hochschule für angewandte Kunst in Moskau. Er arbeitete bis 1982 am Zentralen Forschungsinstitut für Spielzeug in Moskau und danach am Hutfonda-Kombinat für angewandte Kunst. Als Formgestalter entwickelte er mehr als 650 Funktionsmodelle für Spielwarenhersteller in der gesamten UdSSR. Zugleich war er immer auch als Zeichner und Bildhauer tätig. Mit seinen Grafiken und Skulpturen ist er bei nationalen und internationalen Kunstausstellungen vertreten. Artemon ist Malvinas braver Hund im populären Märchen Buratino, einer russischen Variante des Pinocchio. Das Tier aus orangem Plastik entstand 1980 in einem Zweigwerk der Moskauer Malysh-Werke, der Spielzeugfabrik Donezk.